Lina Beermann – Beermanns Frau
Schaut dem Treiben lange zu, bis sie bemerkt, dass mehr als nur ihre Ehe am Spiel steht.

Mit Ludwig Thomas „Moral“ schauen wir zwar über unsere Staatsgrenzen hinaus, bleiben aber doch im alpenländi-schen Raum und damit kulturell „in der Nähe“.
Fritz Beermann, Familienvater und Rentier, ist recht um-triebig. Nicht nur, dass er sich bei den vereinigten Liberal-Konservativen als Kandidat zum Reichstag hat aufstellen lassen, er präsidiert auch dem örtlichen Sittlichkeitsver-ein, der vor allem das unsittliche Treiben einer gewissen Ninon de Hauteville mit Argusaugen beobachtet. So weit, so gut. Doch dann passiert Unvorhergesehenes: Bei einer Polizeirazzia im Hause der Hauteville wird nicht nur diese verhaftet, sondern auch noch ihr Tagebuch konfisziert … und das enthält brisante Informationen. Hat sie doch penibel Aufzeichnung über ihre Kundschaft geführt. Und da erweisen sich etliche führende Mitglieder des Sittlichkeitsvereins plötzlich als Stammgäste in einem Etablissement, dem sie eigentlich öffentlich den Kampf angesagt haben. Und um diese öffentliche Moral zu wahren, ist so mancher bereit, recht eigenwillige Wege zu gehen. Und noch turbulenter wird die Situation, als sich herausstellt, dass auch der Hochadel vor den Toren der Hauteville nicht Halt gemacht hat.
Ludwig Thomas Komödie erlebte 1908 ihre Uraufführung und gilt bis heute als einer seiner größten Erfolge. Noch ehe er sich nach dem Ersten Weltkrieg dem rech-ten Flügel verschrieb, erwies er sich als bissiger Satiriker und rasiermesserscharfer Analytiker der (Miss)Verhältnisse seiner Zeit. Und da kaum etwas so haltbar ist wie menschliche Scheinmoral und -heiligkeit, hat das Stück auch heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Schaut dem Treiben lange zu, bis sie bemerkt, dass mehr als nur ihre Ehe am Spiel steht.
Mehr an indischen Tänzerinnen als an politischen Veranstaltungen interessiert.
Neu im Geschäft und mit der Balance zwischen Über- und Untereifer ziemlich überfordert.
Schon altgedient und in der Analyse des polizeilichen Dienstes rasiermesserscharf.
Diskret und professionell im Umgang mit ihrer Kundschaft, penibel in der Buchführung.
Hochmoralischer Geschäftsmann mit dramatischem familiären Hintergrund.
Politisch und moralisch höchst engagiert, aber allzu genau muss man es ja nicht nehmen.
Widerwilliger Sammler der obszönen Produktion, und alles nur zur Gesundung des Volkes.
Von Zigarren über Cognac bis Eierlikör – diese Frau hat einfach alles auf Lager.
Halbverhungerter Poet mit einem Hang zur unverfälscht echten Darstellung der Wirklichkeit.
Duckt nach oben und tritt nach unten – das Urbild des Staatsbeamten.
Hochkulturelle Dame, die alles rasend interessant oder wenigstens grrroßartig findet.
Spielt wie eine alte Russin und kann Sittlichkeitsvereinen rein gar nichts abgewinnen.
Gelassener Beobachter im Hintergrund, den einzig Beermanns Raffinesse aus der Reserve lockt.